Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr ärgern soll:
Darüber, dass mich an der U-Bahn von einem riesigen Plakat eines Wettanbieters aus eine nackte Dame mit einem Fußball unter dem Arm – beobachtet durch einen Feldstecher – angrinst und darüber steht der Slogan „Life is a game“?
Darüber, dass Menschen, die sich sonst eher nicht für Fußball interessieren und mich auch gerne mal belächeln, weil ich als Frau regelmäßig zum Fußball gehe, auf einmal ganz entsetzt sind, wenn ich sage, dass mich das Deutschlandspiel am Abend nicht mehr interessiert als alle anderen EM-Spiele auch?
Darüber, dass die Autos und Balkone der Stadt mit Deutschlandfahnen übersät sind, wie an so vielen Montagen der Münchner Odeonsplatz, wenn Pegida mal wieder aufläuft?
Oder darüber, dass, wenn erstmalig eine Frau ein EM-Spiel kommentiert, die Kommentare in den Sozialen Medien von einer Dummheit, Einfältigkeit und Frauenfeindlichkeit strotzen, dass es einem die Nackenhaare aufstellt?
Gar nicht erst zu sprechen von den Jagdszenen in Marseille oder von einer deutschen Fangruppe aus Sachsen, die in Lille mit der Reichskriegsflagge posierte. Oder von dem Fan, der auf der Fanmeile am Brandenburger Tor den Hitlergruß zeigte.
Bei meinem Auslandssemester in Italien während der WM 2010 hatte ich ein sehr prägendes Erlebnis, das meine Sichtweise auf Europa- und Weltmeisterschaften verändert hat. Wir Erasmus-Studierenden waren ein bunte Truppe aus ganz Europa, haben uns die Spiele gemeinsam angesehen und uns gemeinsam gefreut – bis Deutschland im Halbfinale gegen Spanien aus dem Wettbewerb ausschied: Da ist einer meiner deutschen Kommilitonen, geschmückt mit Deutschlandtrikot und Deutschlandfahnen auf der Backe, auf einmal auf seine spanischen Erasmus-Kumpaninnen und -Kumpanen, mit denen er am Abend zuvor noch fröhlich gefeiert hatte, losgegangen und hat sie aufs übelste beschimpft.
Mir gefällt das gemeinsame Fußballerlebnis, wie ich es bis zu diesem Zeitpunkt in Italien erlebt hatte. Ich gucke mir gerne mit Freundinnen und Freunden EM-Spiele an. Und ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die sich ganz friedlich und ohne jeden Hass die Fußballspiele der EM ansehen möchten. Wenn aber aus Italienerinnen und Italienern „Spaghettifresser“ werden und aus vermeintlichen Freundinnen und Freunden Feinde, dann hat das für mich mit Fußball nichts mehr zu tun. Dann ist das ungeschönter Nationalismus.
Ich weiß, dass es viele gibt, die mich wegen solcher Aussagen als Spaßverderberin bezeichnen. Aber die Europameisterschaft zeigt traurigerweise das hässliche Gesicht Europas: Sowohl Nationalismus und der damit verbundene Fremdenhass als auch Frauenfeindlichkeit sind in der Gesellschaft tief verankert – während der EM wird das gerade so spür- und sichtbar, dass es mir Angst macht.
L.B.